Die Reisegeschwindigkeit der Erde
Die meisten Menschen reagieren mit ungläubigem Staunen, wenn sie hören, mit welcher Geschwindigkeit sie durch das Sonnensystem rasen. Wenn sie dann mangels Gegenargumenten, zumindest vorläufig, die Information geschluckt haben, dann kommt meistens die Frage, „wie kann man denn das so genau messen?“.
Die Antwort auf diese Frage gibt einen Einblick in die oft sehr raffinierten und intelligenten Methoden der Astronomie, die mit den „Bordmitteln“ Intuition, Phantasie und präziser Beobachtung schon so viele Rätsel des Kosmos gelöst hat, seit Tycho Brahe und Kepler.
Daten der Erdbahn
Die mittlere Entfernung der Erde von der Sonne: 149,6 Mio km = 1 AE (= Astronomische Einheit)Die Exzentrizität der leicht elliptischen Erdbahn ist: e = 0,0167Das bedeutet, dass die Sonnendistanzim Perihel (Sonnen-Nähe) = 147 Mio km beträgtund im Aphel (Sonnen-Ferne) = 152 Mio km.Die Perihelgeschwindigkeit der Erde ist 30,3 km/s = 109 080 km/h, die Aphelgeschwindigkeit ist hingegen 29,3 km/s = 105 480 km/h.Die Rotationsgeschwindigkeit der Erde am Äquator ist 0,465 km/s oder 1674 km/h.
Wie hat man nun diese enorme Geschwindigkeit der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne ermittelt?
Beim Versuch, die Entfernungen von Fixsternen zu ermitteln, hat man einen Effekt entdeckt, der unter dem Begriff: „Aberration des Lichts “ in die Geschichte der Astronomie eingegangen ist. Das war nicht etwa in diesem Jahrhundert, sondern schon 1725.
Dazu folgende Hinweise:
- Beobachtet man einen Stern, der für einen ruhenden Beobachter im Sonnensystem senkrecht zur Ekliptik, also zur Erdbahn,bzw. zur scheinbaren Sonnenbahn steht, von der bewegten Erdbahn, also von der Erde aus, so muss das Teleskop des Beobachters in Richtung der Erdgeschwindigkeit v um den sogenannten Aberratonswinkel v/c (das entspricht ca. 20,48″) vorgeneigt werden, damit es auf den Stern zeigt.c ist die Lichtgeschwindigkeit (299 792,458 km/s).
Im Lauf eines Jahres beschreibt also ein Stern in Richtung Pol zur Ekliptik einen kleinen Kreis. In Richtung Ekliptik bewegt er sich auf einer Geraden hin und her. In den Positionen dazwischen beobachtet man eine Ellipse.
Siehe dazu folgende Skizze:
AmPol der Ekliptik beschreibt der Stern einen Kreis mit dem Radius a = v/c = 20,48″.Im Abstand von 1/4 Jahr sieht der Beobachter den Stern in den Positionen 1, 2, 3 und 4.
DiesenEffekt, der durch die endliche Größe der Lichtgeschwindigkeit und durch die Geschwindigkeit der Erde entsteht, kann man sich mit einer Analogie aus dem täglichen Leben weiter veranschaulichen: Wenn ein durch den Regen eilender Mensch seinen aufgespannten Regenschirm senkrecht hält,so wird er nass. Neigt er ihn aber je nach seiner Geschwindigkeit nach vorne, also in Bewegungsrichtung,so bleibt er trocken. Dies ist dasselbe Prinzip.
Warum spüren wir nichts von unserer enormen Riesengeschwindigkeit?
Die Erde beschreibt um die Sonne innerhalb eines Jahres eine leicht elliptische, fast kreisförmige Bahn. Um die Erde auf dieser Bahn zu halten braucht es Kräfte, denn erinnern wir uns an den Trägheitssatz: Körper behalten ihren Bewegungszustand bei, wenn sie kräftefrei sind. Das Beibehalten des Bewegungszustandes entspricht einer gleichförmigen bewegung, die konstante Geschwindigkeit und unveränderte Bewegungsrichtung als Eigenschaft hat. Bei einer Kreisbahn ändert sich die Bewegungsrichtung ständig. Die hierfür notwendige Kraft wird im Falle der Erde durch die Gravitationskraft der Sonne realisiert. Von dieser Kraft spüren wir allerdings nichts, weil die Anziehungskraft der Sonne mit 1/1600 der Erdanziehungskraft für einen Beobachter auf der Erdoberfläche verschwindend gering ist.
Unsere Bahngeschwindigkeit müssen wir daher aus ruhenden Objekten ableiten. Obwohl Fixsterne alles andere als ruhende Objekte sind, erscheinen sie uns als Objekte, die aufgrund ihrer riesigen Entfernungen nur in hunderten von Jahren ihre Position am Nachthimmel ändern, wenn wir unseren Nachbarstern Alpha Centauri mit nur gut vier Lichtjahren Enfernung ausklammern.
Willy Mahl , Mai 2003
Letzte Änderung am 2009-Mar-15