nach Hansjörg Dittus und Claus Lämmerzahl, Physik Journal 5 (2006) Nr. 1
“Die Pioneer-Anomalie ist ein leichtes Abweichen der 1972 und 1973 gestarteten baugleichen NASA-Sonden Pioneer 10 und Pioneer 11 von deren berechneten Flugbahnen, genauer: eine konstante Abbremsung der Sonden auf ihren Bahnen, die sie aus dem Sonnensystem hinausführen.
Der Effekt fiel um 1980 auf, als die Pioneer-10-Sonde etwa 20 AE von der Erde entfernt war. Es wurde beobachtet, dass die Sonde mit einer konstanten Beschleunigung unbekannter Herkunft von (8,74±1,33) · 10−10 m/s² zur Sonne hin abgelenkt wird.
Dieses Phänomen ist trotz einiger Forschung dazu bisher wissenschaftlich ungeklärt.”
de.wikipedia.org/wiki/Pioneer-Anomalie
Bahnen der Sonden Pioneer 10 und 11
Pioneer 10 | Pioneer 11 | |
Start | 2. März 1972 | 5. April 1973 |
bei Jupiter | 4. Dez. 1973 | 2. Dez. 1974 |
bei Saturn | – – – | 1. Sep. 1979 |
letzte Messdaten | 27. Apr. 2002 (80 AU) | 30. Sep. 1995 (43 AU) |
letztes Signal | 23. Jan. 2003 | Nov. 1995 |
fliegt weiter zum … | Aldebaran | Adler |
Messung von Radialgeschwindigkeit und Entfernung der Sonde
Dopplereffekt bei elektromagnetischen Wellen:
(f = gesendete Frequenz, f’ = empfangene Frequenz,
v = Radialgeschwindigkeit, c = Lichtgeschwindigkeit)
- Deep Space Network (USA, E, AUS) sendet Radiowellen wohldefinierter Frequenz f
- Pioneer-Sonde empfängt Frequenz f‘
- Transponder konvertiert mit festem Faktor 240/221 und sendet zurück (8 Watt!)
- Deep Space Network empfängt Frequenz f“ = f · 240/221 · (c-v) / (c+v)
Aus der Frequenz f’’ berechnet man v, aus der Signallaufzeit die Entfernung.
Die beobachtete Abweichung
Analyse der Messdaten ergab:
Die gemessene Frequenz f’’Messung ist höher als die aus der Bahnberechnung vorhergesagte f’’Theorie. Die Differenz Df’’=f’’Messung – f’’Theorie nimmt für Abstände zwischen 20 AU und 70 AU gleichmäßig zu, mit einer Rate von 6 · 10−9 Hz/s.Dem entspricht eine Abbremsung der Sonde, die um ca. aanomal = 8,7 · 10−10 m/s² höher ist als berechnet. Der Effekt ist für beide Pioneer-Sonden gleich groß (Abweichung max. 3%). |
Die Abweichung zwischen gemessener und berechneter Radialgeschwindigkeit vergrößert sich ab 1987 linear.
Der ungeklärte Anteil der Beschleunigung ist ab 20 AU fast konstant.
Die Suche nach Fehlern
Ursache für die (äußerst kleine) Diskrepanz zwischen den vorausberechneten und den gemessenen Werten könnten Messfehler, Fehler in der Bahnberechnung, der Berechnung der Signalübertragung oder der Interpretation der Messergebnisse sein.
Um dies auszuschließen, müssen auch schwache Effekte untersucht werden, um sie entweder in die Rechnung einzubeziehen oder nachzuweisen, dass sie vernachlässigbar sind. Zu berücksichtigen sind vier Gruppen von Einflüssen:
A. Gravitative Einflüsse
B. Nichtgravitative äußere Einflüsse auf den Satelliten
C. Einflüsse des Satelliten selbst
D. Einflüsse auf die Beobachtung
A1. Klassische Newtonsche Physik reicht nicht
Gravitationsgesetz Gravitationskonstante Newtonsches Grundgesetz
A2. Allgemeine Relativitätstheorie
Die Bahnberechnung wurde nach der “Einstein-Infeld-Hoffmann-Methode” unter Berücksichtigung von Sonne, Planeten, Mond und den größeren Asteroiden durchgeführt.
Die Laufzeitverzögerung der Radiosignale (Shapiro-Effekt) wurde berücksichtigt.
A3. Zusätzliche Masse (z.B. Objekte im Kuiper-Gürtel)
Wird ausgeschlossen, weil diese Masse auch die Planetenbahnen erkennbar beeinflussen müsste.
B1. Sonnenstrahlung und Sonnenwind
Der starke Sonnenwind verhindert eine Entdeckung der Anomalie bei geringem Sonnenabstand, ab 20 AU ist er zu schwach, um die Bahn wesentlich zu beeinflussen.
B2. Reibung an interstellarem Gas und Staub
Dichte von interstellarem Gas nach Messungen von Ulysses um 5 Größenordnungen zu klein, um die Anomalie zu erklären.
C1: Raketenschub zur Lagekorrektur
Selten, da Pioneer gyroskopisch stabilisiert wird. Wurde sorgfältig berücksichtigt.
C2: Rückstoß durch Aussenden von Funksignalen (8 Watt) zur Erde
Größenordnung 15% der Anomalie. Wurde mit einberechnet.
C3: Elektrostatische Aufladung der Sonde
Wäre bei Plasma-Messungen beim Vorbeiflug an Jupiter aufgefallen
C4: Rückstoß durch Wärmestrahlung der Energiequelle
Heikler Punkt. Die Plutonium-“Isotopenbatterien” (RTG = Radioisotope Thermoelectric Generators) erzeugen 2 kW Abwärme, die abgestrahlt wird. Gegenargument:
- Position und Form der RTGs lässt isotrope Abstrahlung erwarten
- Anomalie verringerte sich nicht entsprechend Radium-Zerfallskurve
Bild: www.bernd-leitenberger.de
C5: Veränderung der Abstrahlcharakteristik der RTGs
Wurde abgeschätzt, könnte maximal 10% der Anomalie beitragen.
C6: Rückstoß durch a-Teilchen aus Plutonium-Zerfall
Wurde abgeschätzt, könnte maximal 5% der Anomalie beitragen.
D1: Genaue Position und Zeitmessung für die Radioteleskope nötig
Präzession, Nutation, Polbewegung, Gezeitenkräfte, tektonische Bewegungen. Unterschied Internationale Atomzeit von Ephemeridenzeit.
D2: und so weiter …
Zwischenergebnis
“Die ganzen Untersuchungen und Fehleranalysen konnten bisher keinen systematischen Einfluss zur Erklärung der Pioneer-Anomalie identifizieren. … Es liegt daher nahe, dass die Anomalie entwederE. ein physikalischer Effekt im Rahmen der Standardtheorie ist, den wir bisher noch nicht erkannt haben, oder F. ein Hinweis auf eine Abweichung von den bisherigen Standardtheorien.” |
E: Erklärungsversuche durch die Standardphysik
- “Spin-Rotationskopplung”
- Beschleunigung der Sonne orthogonal zur Ekliptik
Berechnung: aanomal ≈ H · c , Hubblekonstante mal Lichtgeschwindigkeit.
- Einfluss der kosmischen Expansion?
F: Erklärungsversuche durch “neue Physik”
- Dunkle Materie
- Dunkle Energie
- Gravitationsgesetz abändern
- Newtonsches Grundgesetz abändern (Milgroms MOND-Theorie)
ek, 25.1.2008
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