Wie der Himmel Sterne schluckt
Bei längerer Beobachtung des Sternenhimmels wird man feststellen, dass die infolge der Erddrehung aufgehenden Sterne heller und untergehende, bzw. Sterne die sich dem Horizont nähern, dunkler werden. Und dies bei wolkenlosem Himmel und guten konstanten Sichtbedingungen. Ist das eine optische Täuschung? Nein, es ist keine optische Täuschung. Die Ursache dieses seltsamen Verhaltens nennt man „Extinktion“ (Frequenz und stoffabhängige Schwächung der Intensität einer Strahlung durch Absorption, Streuung, Beugung, und Reflexion) oder in deutscher Übersetzung „Auslöschung“.
Zur Erklärung des Phänomens, muss man sich die nahezu kugelförmige Gestalt der Erde in Erinnerung rufen, und die Tatsache, dass die Atmosphäre überall auf dem gesamten Erdball aufgrund der Erdanziehung dieselbe Höhe hat. Sie umschließt die Erde wie eine Schale. Es ist nun leicht einzusehen, dass ein Lichtstrahl, der aus der Zenitnähe eines Beobachters kommt, einen kürzeren Weg durch diese Schale hat, als ein tangential zur Erde, also horizontal einfallender. Der Lichtweg des letzteren durch die Atmosphäre wird also länger.
Je näher also ein leuchtendes Objekt zum Horizont kommt, um so mehr wird sein Licht von der Erdatmosphäre absorbiert, da sein Lichtweg länger wird. Dazu die folgende Skizze:
Diese Situation ist übrigens auch der Grund, weshalb die auf- bzw. untergehende Sonne rot erscheint.
Das Sonnenlicht verliert auf dem längeren Weg durch die Atmosphäre mehr blaue als rote Anteile (kurzwellige Anteile des Sonnenspektrums = blau, langwellige = rot). Aus dem gesamten Lichtspektrum der Sonne wird mehr kurzwelliger Anteil durch die Moleküle und andere Partikel in der Atmosphäre gestreut, daher haben wir auch einen blauen Himmel (siehe auch „Warum ist der Himmel blau?„).
Wenn der Weg durch die Atmosphäre länger wird, tritt dieser Effekt, also die Rotfärbung, natürlich verstärkt auf. Bei den Sternen fällt nicht die Farbänderung, sondern vor allem die enorme Lichtabschwächung auf.
In der Nähe des Zenits, also senkrecht über dem Beobachter, wird sie nicht wahrgenommen, hier stimmen die Helligkeitsangaben der Sternkarten noch. Auch in wesentlich größeren Abständen vom Zenit muss nur der Astronom, der exakte Helligkeitsmessungen vornimmt, die Extinktion berücksichtigen. Erst bei einer Höhe von ca. 10° über dem Horizont kommt man in den Bereich einer Größenklasse Verlust. (Eine Größenklasse entspricht der 2,5-fachen Helligkeit. Siehe auch Helligkeit von Himmelsobjekten.)
Dazu die folgende Tabelle, die dem SPECTRUM Lexikon der Astronomie entnommen wurde.)
Zenitdistanz(°) | Extinktion(m) |
0 | 0,00 |
20 | 0,01 |
30 | 0,03 |
40 | 0,06 |
50 | 0,12 |
60 | 0,23 |
70 | 0,45 |
74 | 0,60 |
76 | 0,71 |
77 | 0,77 |
78 | 0,83 |
80 | 0,99 |
82 | 1,18 |
84 | 1,49 |
86 | 2,04 |
88 | 3,10 |
Durch die zunehmende Horizontnähe wird die Extinktion rapide verstärkt, wie man aus der Tabelle entnehmen kann.
So ist Kapella der hellste Stern im Sternbild Fuhrmann, bzw. der fünfthellste Stern des gesamten Nachthimmels mit einer Helligkeit von -0,2 Größenklassen in der Nordstellung, also Horizontnähe, (12 Vollmonddurchmesser über dem Horizont) um 1,5 Größenklassen dunkler. Sie entspricht dann nur noch dem Durchschnitt der Himmelswagensterne. Ein Beobachter auf 46° nördlicher Breite sieht die Kapella in der Tiefstellung (4 Vollmondbreiten über dem Horizont) sogar um 3,1 Größenklassen dunkler. Dies Beispiel zeigt, dass die meisten Sterne schon unsichtbar werden bevor sie untergehen. Ein Stern der 4. Größenklasse wird schon bei ca. 12 Vollmonddurchmessern über dem Horizont (6 °) verschwinden.
Gemäß der Definition der Extinktion (siehe oben) spielt die Verunreinigung der Luft auch eine große Rolle beim Lichtschwund von Sternen. So wird trifft der Richtwert, dass man mit bloßem Auge Sterne bis zur 6. Größenklasse sehen kann, heute, vor allem in Großstadtnähe längst nicht mehr zu. Statistiken darüber schwanken sehr stark und sind örtlich stark unterschiedlich. Die heutigen Sichtbarkeitsgrenzen dürften in der Größenordnung zwischen 5m und 5,5m liegen.
Die Messung der Helligkeit von Sternen und die Extinktion Ihres Lichtes über der Zeitachse ist ein effektives Mittel um die Luftverschmutzung zu messen.
Willy Mahl 25.06.2002
Letzte Änderung am 2009-Mar-15
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